Demografischer Wandel - Herausforderungen für M-V

Der demografische Wandel stellt Mecklenburg-Vorpommern vor Herausforderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das „Deutsche Handwerksblatt" führte dazu ein Interview mit dem Staatssekretär vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus, Dr. Stefan Rudolph.

"Berufsfrühorientierung von heute ist Fachkräftesicherung von morgen."

"Der Jugendwahn war immer kontraproduktiv und wird es auch in Zukunft sein."

"Alle Bürger tragen Verantwortung für ein investitionsfreudiges Klima im Land, durch Gastfreundschaft, Flexibilität, gute Schulbildung, kluge Politik."

St. Rudolph

Seit 1990 hat Mecklenburg-Vorpommern ungefähr 10 Prozent der Bevölkerung verloren und gehört zu den jugendärmsten Regionen Deutschlands. Welche Schwerpunkte setzt die Landesregierung, um insbesondere Jugendliche im Land zu halten?

In der Tat ist es so, dass das Land aufgrund seiner demographischen Entwicklung vor wirklichen Herausforderungen steht. Mecklenburg-Vorpommern hat in der Vergangenheit immer wieder Wanderungsverluste hinnehmen müssen. Doch Mecklenburg-Vorpommern ist auch Zuwanderungsland, und zwar bei der Generation 55+. Das eröffnet Chancen. Doch zurück zur Frage.

2010 verlassen rund 10.300 Mädchen und Jungen die allgemeinbildenden Schulen. Allein aus dem Bereich der Haupt- und Realschulen waren es 2004 noch 16.500 Jugendliche, in 2010 werden es etwa 5.000 sein. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass sich die Anzahl der Schulabgänger innerhalb von nur 15 Jahren um zwei Drittel reduziert hat. Zudem gelingt es uns bei ca. 6.000 Auszubildenden aus Mecklenburg-Vorpommern nicht, sie in Mecklenburg-Vorpommern zu qualifizieren. Das wäre nicht unbedingt bedenklich, würden sie wieder kommen. Doch das ist oftmals nicht der Fall.

Ich bin fest davon überzeugt, dass es in Mecklenburg-Vorpommern hervorragende Möglichkeiten gibt, sich zu etablieren, zu wachsen, Familien zu gründen, mitzutun unser Land aufzubauen. Nun werden Sie mich fragen, warum dann die Wanderungsverluste? Hierfür gibt es ein ganzes Bündel von Gründen.

Nehmen wir unsere Unternehmen. Viele Unternehmen haben schon immer gut und umfassend ausgebildet, unseren Jungen und Mädchen berufliche Chancen gegeben, viele, oder besser zu viele, aber eben auch nicht. So manches Unternehmen hat darauf gesetzt, fertige Fachkräfte vom Markt zu bekommen. So hat sich in manchem Kopf über Jahre festgesetzt, hier im Land gibt es für junge Menschen keine Ausbildung und damit keine Zukunft. Das stimmt zwar nicht, sitzt aber tief.

Oder fragen Sie sich bitte selber, ob Sie unser Land wirklich kennen. Viele Jungen und Mädchen, viele Eltern, viele Lehrer, ich bis zu meinem Amtsantritt eingeschlossen, wissen kaum oder gar nicht, dass Mecklenburg-Vorpommern neben Tourismus und Landwirtschaft auch ein Land der Automobilzulieferindustrie, der Luft- und Raumfahrt, der Biomedizin und der Biotechnik, des Maschinenbaus, der Ernährungswirtschaft, des Schiffbaus und vieler attraktiver Arbeitsbereiche mehr ist. Aber wenn ich das nicht weiß, auf diesen Gebieten aber meine persönlichen Neigungen liegen, dann verlasse ich das Land, um dort hin zu gehen, wo ich meine Träume verwirklichen kann.

Oder nehmen Sie die Thematik der Ausbildungsvergütung und des Lohnniveaus. Hier dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass wir uns im Wettbewerb mit all den anderen Anbietern von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen befinden, national und international.

Und damit habe ich nur drei Bereiche angesprochen, von vielen anderen mehr.

Nun was tun wir? Lassen Sie mich bitte einige Beispiele nennen.

Zuerst hat unser Wirtschaftsminister, Jürgen Seidel, die Arbeitsmarktpolitik mit der Wirtschaftspolitik verzahnt und auf bessere Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet. Hierdurch unterstützen wir auch den Grundsatz, dass für die Deckung des Fachkräftebedarfs in erster Linie die Unternehmen selbst Verantwortung tragen. Doch wir lassen unsere Unternehmen dabei nicht allein. Die Landesregierung leistet gezielte Unterstützung, insbesondere bei Aus- und Weiterbildungsaktivitäten, aber auch bei Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der Berufsorientierung, des "produktiven Lernens" an Schulen oder der Integration Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt.


Landesregierung und Unternehmen arbeiten zwischenzeitlich noch enger zusammen. Mit dem neuen Ausbildungs- und Qualifizierungspakt "Fachkräfte für Mecklenburg-Vorpommern - Bündnis für Ausbildung und Qualifizierung 2008 bis 2013" bekennt sich auch die Wirtschaft zu ihrer Verantwortung, mit neuen Strategien dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel zu begegnen. Die Sozialpartner verpflichten sich durch die Gestaltung attraktiver Rahmenbedingungen in den Unternehmen die Voraussetzungen dafür herzustellen, dass qualifizierter Nachwuchs im Land ausgebildet und noch wichtiger, nach seiner Ausbildung auch in MV beschäftigt wird. Hierzu soll auch das Angebot an dualen Studiengängen stärker genutzt und ausgebaut werden. Hierbei sind ebenfalls die Brancheninitiativen zur Nachwuchssicherung nicht zu vergessen, wie z.B. in der Schiffbauindustrie. So wird beispielsweise der "Dualen Studiengang der Volkswerft Stralsund GmbH in Kooperation mit der Fachhochschule Stralsund" für die Heranbildung eines akademisch gebildeten Fachkräftenachwuchses (Meister- und Bachelorabschluss) im Bereich der maritimen Industrie durch das Wirtschaftsministerium gefördert.

Mit der Förderung z.B. der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung in unseren beiden Kammerbezirken des Handwerks, helfen wir abermals konkret. Mit diesem Instrument wird einerseits das Ausbildungspotential vieler Betriebe erschlossen und andererseits der Fachkräftebedarf für diese Betriebe mit gesichert.


Inzwischen wissen auch nicht nur alle Fachleute um die Bedeutung nachhaltiger Berufsfrühorientierung. Im Rahmen der Berufsfrühorientierung werden Schülerinnen und Schülern Angebote unterbreitet, die sie motivieren, sich aktiv auf den Einstieg ins Berufsleben vorzubereiten, denn; Berufsfrühorientierung von heute ist Fachkräftesicherung von morgen.


Genauso unterstützen wir die Etablierung der Kampagne "MV-Professionals". Ziel der Kampagne ist es, landesweit Unternehmen bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern zu helfen und Bewerber auf attraktive Entwicklungspotenziale bei Unternehmen aufmerksam zu machen.


Gleichfalls wurde durch uns im Jahr 2008, gemeinsam mit den Handwerkskammern, das Projekt "Meisteroffensive" ins Leben gerufen. Die Kampagne zielt auch darauf, Mädchen und Jungen mit der Karriereperspektive "Meister" für das Handwerk zu gewinnen.

Darüber hinaus besteht im Rahmen der Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation für Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Verbundvorhaben die Möglichkeit der Neueinstellung von Personal (z.B. Forschende, Techniker). Hier unterstützen wir auch materiell.


In Vorbereitung ist die Förderung des Einsatzes junger Forscher und Forscherinnen als Projektförderung mit bis zu 24 Monaten Laufzeit zur Förderung der Innovationskraft in kleinen und mittleren Unternehmen.


Das neue modular aufgebaute Programm "TIP - transparent, innovativ und passgenau" steht in jeder Phase des Gründungsprozesses mit aufeinander aufbauenden Instrumenten Gründungswilligen und Junggründern zur Verfügung, so z.B. mit einem Stipendium für technologieorientierte Gründer in Form einer maximal 18 Monate währenden Hilfe zum Lebensunterhalt.


Um die Verfahren bei einer Existenzgründung im Handwerk zu professionalisieren, ist das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus den Handwerkskammern in MV bei der Initiierung des Projektes "Starter Center" behilflich. In diesen Starter Centern werden notwendige Verwaltungsschritte, die bei einer Existenzgründung erforderlich sind, koordiniert.


Zudem werden im Bereich der Existenzgründung zwischenzeitlich Existenzgründerinnen und Existenzgründer mit Migrationshintergrund durch Seminarangebote, Workshops sowie Einzel- und Kleingruppentrainings unterstützt und damit auf die Gründung eines eigenen Unternehmens vorbereitet. Neu ist das bei der Handwerkskammer Schwerin implementierte Projekt "Integra 2008", mit dem die Integrationschancen von Migrantinnen und Migranten in den ersten Arbeitsmarkt befördert werden. So werden die Teilnehmer für die Berufe Metallbauer/-in, Elektrotechniker-/in und Anlagentechniker-/in SHK mit einem anerkannten Berufsabschluss (Kammerprüfung) ausgebildet und stehen damit als qualifizierte Fachkräfte der Wirtschaft zur Verfügung.


Auch bei Umschulungen unterstützen wir. Konkret sind wir dabei im Bereich der Altenpflege aktiv und übernehmen die Weiterbildungskosten im 3. Ausbildungsjahr.


Das sind nur einige Beispiele, wie wir versuchen erforderliche Rahmenbedingungen für Arbeit in MV zu schaffen.


Aktuell überlegen wir intensiv, wie wir die Stärken unseres Landes auch im Land noch bekannter machen können. Es muss und wird uns auch gelingen.


Welche konkreten Projekte und Vorhaben zur Berufsfrühorientierung, die bereits im Vorschulalter beginnt, gibt es? Wie arbeitet die Landesregierung dabei mit der Wirtschaft zusammen?

Auch hier arbeiten wir engagiert, denn ich glaube wie gesagt fest daran, Berufsfrühorientierung von heute ist Fachkräftesicherung von morgen. Mädchen und Jungen sollen zu Beginn spielend und dann immer mehr bewusster lernen, die Erwachsenenwelt zu erkennen, sich orientieren zu können, um später in der Lage zu sein, Marktbedarfe und eigene Stärken miteinander zu verbinden.

Lassen Sie mich auf den Bereich der Schule konkret eingehen.

Hier beginnt die berufliche Frühorientierung in der 5. Klasse. Dazu gehört beispielsweise auch die Öffnung der Schule durch altersgerechte Veranstaltungen mit Partnern aus Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft, wie: Betriebsbesichtigungen, variable Praxistage oder auch Gespräche mit den Beratern der Arbeitsagenturen. Darauf aufbauend finden ab der 8. Klasse Schülerbetriebspraktika statt. Hier arbeiten die Schulen eng mit den Unternehmen vor Ort zusammen. Gleichzeitig gibt es an einigen Schulen bereits auch einen Schüleraustausch im Rahmen von Schulpartnerschaften im europäischen Ausland. Und dennoch brauchen wir hier noch mehr Aha-Effekte bei unseren Kindern.

Ein mir wichtiges Beispiel sind unsere Schülerfirmen. Das sind pädagogische Schulprojekte, die sich an realen Unternehmen orientieren. Die beteiligten Schüler üben sich beispielsweise im Erarbeiten von Unternehmenskonzepten, planen Umsätze, sammeln Erfahrungen im Controlling und führen erste Bankgespräche. Sie entscheiden selbständig und verantwortlich und werden dabei von Fachleuten unterstützt. Schülerfirmen kümmern sich beispielsweise um die Versorgung ihrer Mitschüler in den Pausen, geben Nachhilfeunterricht zum Beispiel in Englisch oder Informatik, erstellen Internetpräsentationen für Firmen oder sie entwickeln und vertreiben Schülerzeitschriften. Dabei gewinnen sie wichtige Einsichten in wirtschaftliche Zusammenhänge und sie trainierten Schlüsselkompetenzen wie Teamfähigkeit, Kreativität, Verantwortungsbewusstsein und Risikobereitschaft. Mehr als 120 solcher Firmen gibt es in Mecklenburg-Vorpommern. Rund 60 ausstellende Firmen haben Anfang Oktober dieses Jahres auf der 6. Landesschülerfirmenmesse in Güstrow gezeigt, wie Schüler aus unserem Land ihre pfiffigen Ideen in die Praxis umsetzen. Im Übrigen profitiert auch die Wirtschaft davon: Bewerber, die in einer Schülerfirma gearbeitet haben, finden bereits nach durchschnittlich 21 Tagen Suche eine Lehrstelle.




Die Alterspyramide hat sich zu einem Lebensbaum entwickelt. Wie muss es uns gelingen, die Erfahrungen der älteren Generation einzubringen und dieses u.a. auch wirtschaftlich für den Standort MV zu nutzen?

Wir sind heute länger fit. Und um es deutlich zu sagen: Das ist zwar eine wirkliche Herausforderung, keine Frage, doch eine gute Herausforderung!

Und es stimmt, das Durchschnittsalter der Bevölkerung unseres Landes ist in den letzten Jahren um jährlich 0,5 Jahre gestiegen. Das bedeutet, in den Jahren 1993 bis 2008 stieg der Altersdurchschnitt der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern um 7 Jahre. Hieraus erwachsen Herausforderungen, die ich als Chance betrachte.

Ich meine der demografische Wandel ist eine Chance für junge Leute - aber vor allem auch für die Älteren. Kurz gesagt: Die Kompetenzen und die Lebenserfahrungen der Älteren sind für die Gesellschaft im Allgemeinen und die Wirtschaft im Besonderen unverzichtbar. Ihr Know-how wurde und wird immer gebraucht. Die Landesregierung unterstützt das aktive Altern. Der (Re-) Integration Älterer in Beschäftigung kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Das Land wirbt bei der Wirtschaft für die Einstellung auch unserer Älteren. Der Jugendwahn war immer kontraproduktiv und wird es auch in Zukunft sein. Wir nutzen konsequent die Mittel aus dem bundesweiten Programm "Initiative 50plus". Bestehende starre Altersgrenzen werden darauf überprüft, ob sie den aktuellen Erfordernissen entsprechen oder eine nicht gerechtfertigte altersdiskriminierende Beschränkung darstellen. Älteren Arbeitnehmern sollen neue Chancen im Berufsleben eröffnet werden.

Bisher hatte es im Rahmen des Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklungsprogramms (ASP) des Landes Mecklenburg-Vorpommern 2002 bis 2006 kein Programm für die Zielgruppe 50plus gegeben. Im ASP war es eine Querschnittsaufgabe. Jetzt soll sich das ändern. Vorgesehen ist, ergänzend zu den Angeboten und Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, arbeitslose Akademiker über 50, z.B. Ingenieure und Naturwissenschaftler, zu qualifizieren und zu vermitteln. Damit soll ein Beitrag zur besseren Befriedigung des Fachkräftebedarfs geleistet werden.

Erwähnenswert ist mir in diesem Zusammenhang die auch schon erwähnte Tatsache, dass Mecklenburg-Vorpommern bei der Generation 55+ ein Zuwanderungsland ist. Auch hieraus ergeben sich positive Effekte für unser Land, nicht zuletzt auch für unser Handwerk.

Das TransferNetzwerk Community Medicine der Universität Greifswald hat in 2007 die Studie "Zuwanderungsland M-V! - Motive, Wünsche und Erwartungen von Zuwanderern und Rückkehrer über 55 Jahre" erstellt. Danach zogen von 1995 bis 2005 41.262 Personen über 55 Jahre nach Mecklenburg-Vorpommern. Der Wanderungsgewinn betrug 1.306 Personen pro Jahr. Die Quellhauptgebiete sich Niedersachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Berlin. Die beliebtesten Zuzugsziele sind Rostock, Schwerin, Bad Doberan, Usedom, Nordvorpommern, Rügen, Ludwigslust und Nordwestmecklenburg. Von den Zugewanderten kauften sich statistisch gesehen 41% in Mecklenburg-Vorpommern ein Haus oder eine Eigentumswohnung. Die privaten Ausgaben allein für Gesundheit liegen bei den Zugewanderten rechnerisch insgesamt bei ca. 553.580 Euro bis 1.110.170 Euro im Monat.



Rund 5.000 Unternehmen im Land suchen in den nächsten Jahren einen Nachfolger. Wie kann im bevölkerungs- und jugendärmeren Mecklenburg-Vorpommern die Rekru­tierung dieses Nachwuchses besonders auch im Handwerk erfolgen?

Auch für das Handwerk stimmt, dass bei ansteigendem Durchschnittsalter die Kenntnis demografischer Strukturen im unternehmerischen Markt- und Aktionsumfeld an Bedeutung gewinnt. Die Handwerkskammer Schwerin erstellt in enger Zusammenarbeit mit unserem Ministerium gegenwärtig eine Studie zu Lebenslagen und Chancen bei Unternehmensnachfolgen. Hierzu liegen bereits erste interessante Erkenntnisse vor. Hier ein erster Einblick.

Die demographische Entwicklung in den bestehenden Handwerksbetrieben führt in den kommenden Jahren zu einer Zunahme der anstehenden Übergabefälle. Die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge befinden sich unmittelbar vor dem Ruhestandsalter. Ebenso stehen viele Gründer der Wiedervereinigungsperiode kurz vor dem Erreichen des Ruhestandsalters. Gleichzeitig führt die demographische Entwicklung zu einem Rückgang in den nachfolgenden Altersgruppen. Als Konsequenz ergibt sich daraus eine Nachfolgelücke mit einem Zuwachs an Übergebern und einem Rückgang an Übernehmern für am Markt etablierte Handwerksbetriebe.

Auch die Marktchancen werden sich durch den demografischen Wandel regional­spezifisch nachhaltig verändern. Dies wird in bestimmten Regionen zu sinkender Nachfrage führen, der in anderen Regionen wachsende Nachfrage gegenübersteht. Hier ist zu untersuchen, wie sich die Nachfrage nach Handwerksleistungen insgesamt entwickelt und inwieweit Regionen und Gewerke hiervon unterschiedlich betroffen sind. Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Nachfrage nach handwerklichen Produkten und Dienstleistungen beeinflusst maßgeblich den künftigen betrieblichen Übergabeprozess. Denn es sind nur die Betriebe für Übernahmen attraktiv, die auch künftig Marktpotentiale besitzen.

Während ein Unternehmen theoretisch unbegrenzt lange existieren kann, stellt sich beim Inhaber spätestens beim Älterwerden die Frage nach dem Generationenwechsel. Eine erfolgreiche Unternehmensübergabe ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Für den Übergeber geht es um die Loslösung vom Lebenswerk, um Neuorientierung, um das Abgeben von Verantwortung, die Einschätzung der Fähigkeiten von familieninternen oder -externen Nachfolgern, die eigene finanzielle Altersvorsorge, die Vermögensaufteilung mit Teilhabern, die Zukunft der Unternehmung und auch um das Wohl der Mitarbeiter.

Neben Neugründungen ist das Weiterbestehen der bereits existierenden Betriebe von grundsätzlicher Bedeutung. Notwendige Rahmenbedingungen für erfolgreiche Betriebsübergaben gilt es zuschaffen. Wie ist die Lage? Neben der zunehmenden inländischen Konkurrenz durch Anbieter aus Industrie und Handel sind zahlreiche ausländische Anbieter auf den Handwerksmärkten tätig geworden. Außerdem hat sich die Nachfrage nach handwerklichen Produkten und Dienstleistungen stark verändert. Sie wird immer anspruchsvoller und ist zumeist mit dem Wunsch nach integrierten und umfassenden Dienstleistungen verbunden. Der Kunde erwartet individuelle Problemlösungen aus einer Hand. Zum einen stellt diese Marktveränderung die Übergabefähigkeit einiger handwerklicher Gewerke zunehmend in Frage; zum anderen ist aufgrund der wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten die Ertragslage vieler Betriebe bereits so angespannt, dass notwendige Investitionen in die Modernisierung von Anlagen und Maschinen oft nicht möglich sind. Gleichzeitig weitet sich die restriktivere Kreditvergabe einige Banken, und das nicht erst seit der Finanzkrise, zu einem immer stärkeren Hemmnis für potentielle Übernehmer aus, so dass die unterstützende Vorfinanzierung der Übernahme vielfach nicht erreicht werden kann.

Eine Übergabe ist ein sehr komplexer Prozess, viele Aspekte - wie die Betriebsbewertung, Finanzierung der Übernahme, Steuer-, Arbeits-, Gesellschafts-, Erb- und Eherecht - müssen berücksichtigt werden, aber es geht vor allem auch um die Sicherung und Fortsetzung des unternehmerischen Lebenswerkes. Die übergabewilligen Betriebsinhaber suchen generell zuerst den Rat ihres Steuerberaters. Danach folgen Rechtsanwalt und die Betriebsberatung der Handwerkskammern. Die Betriebsberater der Kammer werden im Hinblick auf eine anstehende Betriebsnachfolge zumeist von Betrieben in Anspruch genommen, deren Nachfolgeregelung sich schwieriger gestaltet als erwartet oder bei denen die Erstkontakte mit anderen Beratern nicht das gewünschte Ergebnis gebracht haben.


Die zukünftigen Herausforderungen
für das Handwerk lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen:

  • veränderte Wettbewerbsfaktoren durch den partiellen Wegfall der Zulassungsvoraussetzungen (Meisterqualifikation) und damit neue Zugangskriterien zu den entsprechenden Gewerken,
  • der Übergang vom konventionellen Handwerk zum Dienstleistungsmanagement,
  • wettbewerbsbedingte Zusammenschlüsse, um mehrere Gewerke aus einer Hand anbieten zu können,
  • individuelle Qualitätsanforderungen der Kundschaft und
  • demografisch bedingte Veränderungen in der Anbieter- und Nachfragestruktur auf Personal- und Absatzmärkten,

Im Kammerbezirk der Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern sind ca. 20 Prozent aller Inhaber von Handwerksbetrieben älter als 55 Jahre. Das hat zur Folge, dass von den insgesamt 12.400 Betrieben bei ca. 2.500 in Kürze der Betriebsübergang unmittelbar thematisiert ist.

Im Kammerbezirk der Handwerkskammer Schwerin sind ca. 25% aller Inhaber von Handwerks-Betrieben älter als 55 Jahre. Bei mehr als 7.500 in die Handwerksrolle der HWK Schwerin eingetragenen Betrieben besagt diese Altersstruktur, dass schon in naher Zukunft bei 1.500 Handwerksbetrieben entweder eine Betriebsübergabe oder eine Betriebsaufgabe ansteht. Aber nur bei wenigen Betrieben steht ein Betriebsnachfolger innerhalb der Familie bereit. Viele junge Menschen wollen nicht in die Fußstapfen ihrer Eltern treten.

Die Gründe dafür sind komplex:

  • mangelndes Interesse für einen Handwerksberuf,
  • fehlende unternehmerische Qualifikation,
  • Scheu vor der Arbeitsbelastung (12-14 Std. Arbeitstag),
  • fehlende Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und unternehmerischem Risiko,
  • zunehmender Wettbewerbsdruck durch Abbau von Zugangsbeschränkungen,
  • hohe Steuer- und Abgabenbelastung und
  • hoher Bürokratieaufwand.

In der Praxis ist häufig zu beobachten, dass Betriebsinhaber lange an eine familieninterne Lösung glauben, obwohl die Nachkommen andere berufliche Wege gehen möchten oder für eine Unternehmensnachfolge nicht geeignet sind. Damit wird der rechtzeitige Aufbau eines geeigneten Nachfolgers aus dem Mitarbeiterkreis bzw. die frühzeitige Suche nach einem geeigneten außenstehenden Dritten verpasst. Nach bundesweiten Schätzungen behaupten sich pro Generationenwechsel bis zu 25 Prozent der kleineren Familienunternehmen nicht, weil die Inhabernachfolge misslingt. Das sind vor allem die Fälle, wo weder ein Familienmitglied als Nachfolger zur Verfügung steht, noch innerhalb der Belegschaft oder auf dem freien Arbeitsmarkt ein geeigneter Nachfolger gefunden werden kann. Diese Zahl könnte in den kommenden Jahren noch wachsen, weil:

  • familieninterne Betriebsübergaben zunehmend an Bedeutung verlieren und immer mehr kleine und mittlere Betriebe an familienexterne Dritte übertragen werden müssen;
  • familienexterne Betriebsübergaben in allen Belangen schwieriger zu realisieren sind, (bspw. Nachfolgersuche, Übernahmefinanzierung, Steuern, Know how Transfer etc.) und
  • die Mehrheit der potentiellen Jungunternehmer lieber ein neues Unternehmen gründen als ein bereits bestehendes übernehmen möchten, obwohl das Misserfolgsrisiko bei einer Übernahme oft geringer ist als bei einer Neugründung.

Die bekannten wesentlichen Einflussfaktoren für erfolgversprechende Unternehmensnachfolgen sind:

  • Branchenattraktivität,
  • Standortattraktivität,
  • Kundenstamm und Marktpotential,
  • Personalstruktur und -potential und
  • Nachfolgerpotential.

Ich glaube fest, dass wir im Handwerk dann unsere Stärken besser noch in wirtschaftlichen Erfolg münzen können, wenn wir das was wir besonders gut können anderen auch mitteilen.

Deshalb freue ich mich, dass Handwerkskunst aus MV noch vor Weihnachten in Mailand gezeigt wird. Im Februar 2009 wird handwerkliche Tradition aus MV auf der "Mitteldeutschen Handwerksmesse" in Leipzig gezeigt. Hier wird es uns gelingen, die Kraft unseres Handwerks im Wettbewerb mit den Ausstellern aus allen anderen neuen Bundesländern zu demonstrieren.

Wenn uns dieser Messeeinstieg gelingt, dann geben wir Gas, so das im Jahr 2010 Mecklenburg-Vorpommern Partnerland dieser Premiumhandwerksmesse sein kann. So kann es gelingen, neue Quellenmärkte zu gewinnen.

Das Wirtschaftsministerium arbeitet begleitend daran, die Messeförderung so zu gestalten, dass vor allem auch unsere Handwerksbetriebe mehr Unterstützung als bislang erfahren, um überregional Fuß zu fassen. So werden sie robuster und zukunftsfähiger.

Der Ausgestaltung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten der Handwerkskammer kommt eine zentrale Bedeutung für die Zukunft der Wirtschaftsgruppe Handwerk zu. Die Handwerkskammern in Mecklenburg-Vorpommern greifen die Materie Unternehmensnachfolge vielseitig auf. Die Handwerkskammern Schwerin und Ostmecklenburg-Vorpommern begegnen gemeinsam der absehbaren Meisterlücke mit der landesweiten Kampagne "Besser ein Meister". Die Kampagne ist zunächst für einen Zeitraum von drei Jahren konzipiert und beabsichtigt:

  • Jugendliche mit der Karrierechance "Meister" für das Handwerk zu gewinnen, um die Abwanderung künftiger Leistungsträger zu verhindern und dem Fachkräftebedarf des Handwerks mit unternehmerischen Perspektiven in M-V zu begegnen,
  • angestellte Handwerker von der Meisterqualifikation zu überzeugen, um Aufstiegschancen realisieren bzw. eine dauerhaft tragfähige Existenz gründen zu können und
  • Kunden und Verbraucher auf den besonderen Stellenwert des Meister-Handwerks für hochgradige Qualität und zeitgemäßen Verbraucherschutz zu orientieren.

Das Wirtschaftsministerium fördert diese Kampagne.

Unser Wirtschaftsminister hat im November 2007 die "Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Beratungen bei kleinen und mittleren Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern" veröffentlicht. Ein Gegenstand bzw. Schwerpunkt ist dabei die Förderung von Beratungen im Zuge einer Unternehmensnachfolge. Zur besseren Koordinierung der Unternehmensnachfolgen in MV wird Minister Jürgen Seidel noch vor dem Jahreswechsel ein umfassendes Konzept vorstellen, das zum 01.01.2009 beginnen wird zu greifen.



Jedes Risiko hat auch eine Chance, heißt es. In welchen Branchen sehen Sie Markt­chancen und Entwicklungsmöglichkeiten für die regionale Wirtschaft, vor allem für das Handwerk, vor dem Hintergrund des demografischen Wandels?

Das Handwerk ist ein Motor der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern. 19.800 Betriebe mit rund 95.000 Beschäftigen und mehr als 12.000 Lehrlingen erwirtschaften einen Jahresumsatz von etwa acht Milliarden Euro. Bildung treibt diesen Motor an - er ist der Schlüssel zum Erfolg: Eine qualifizierte Ausbildung ist dabei nicht nur für die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Mecklenburg-Vorpommern wichtig, sondern auch für die Chancen der Jugendlichen. Hierbei hilft auch das von mir schön erwähnte Projekt "Meisteroffensive". Der Meisterbrief qualifiziert gleichzeitig in den Bereichen Betriebswirtschaft und Ausbildungsbefähigung. Selbstständige Handwerker können kaufmännische Entscheidungen auf fundierter Basis treffen, angestellte Meister sind genauso wie selbständige Meister bestens qualifizierte Fachkräfte mit Führungsqualitäten.

Und ich rede nicht nur von der Qualität des Meisterbriefs, sondern ich bin auch von seinem Wert überzeugt. Deshalb unterstütze wir auch die Qualifizierungsoffensive Deutschland, in der der Übergang aus beruflicher Bildung bzw. aus Weiterbildung in die Hochschulen hinein durch ein "Aufstiegspaket" verbessert wird. Die Bundesländer werden, unter Beteiligung von Mecklenburg-Vorpommern, bis zum Jahr 2010, Voraussetzungen formulieren unter denen der allgemeine Hochschulzugang für Meister, Techniker, Fachwirte und Inhaber gleichgestellter Abschlüsse ermöglicht wird und der fachgebundene Zugang zur Hochschule für beruflich Qualifizierte nach erfolgreichem Berufsabschluss und dreijähriger Berufstätigkeit eröffnet wird.

Für das Handwerk ergeben sich aufgrund des demographischen Wandels der Bevölkerung zahlreiche Herausforderungen. Dazu zählen auf der einen Seite  zunächst die Sicherung des Bedarfs an Auszubildenden und Fachkräften, der Umgang mit alternden Belegschaften oder die Anpassung an veränderte Nachfragestrukturen. Auf der anderen Seite ergeben sich für das Handwerk infolge der veränderten Altersstruktur zahlreiche neue Geschäftsfelder, um mit einem innovativen, an den Bedürfnissen der Senioren orientierten Angebot neue Kunden zu gewinnen und Stammkunden weiter an sich zu binden. Neben dem altersgerechten Wohnen sind dies insbesondere auf ältere Personen zugeschnittene Leistungen mit hoher Serviceorientierung. Vor diesem Hintergrund ergeben sich in den privaten Haushalten gerade für das Handwerk neue Geschäftsfelder. So können beispielsweise die Bauhandwerke - Maler, Maurer, Tischler, Installateure, Elektriker etc. - für mehr Barrierefreiheit sorgen, Treppenlifte einbauen, Rampen für Rollstuhlfahrer errichten, geräumige Bäder herrichten und vieles mehr. Vom wachsenden Anteil älterer Menschen werden auch die Gesundheitsgewerke profitieren, wie z.B. die Augenoptiker, Zahntechniker oder Orthopädieschuhmacher. Auch die gesunde Ernährung wird immer mehr eine Rolle spielen - eine Herausforderung auch für das Bäcker- und Fleischerhandwerk, genauso für unseren Handel, das Gaststättengewerbe und viele mehr.

Ein weiteres Betätigungsfeld - gerade in MV - ist der gesundheitsorientierte Tourismus. Auch hier ist auf älter werdenden Urlaubsgäste zu reagieren. So werden bereits jetzt viele Hotelanlagen barrierefrei gebaut bzw. umgebaut. Die Wellnessangebote werden entsprechend angepasst. Auch hier profitiert das Handwerk in erster Linie.

Daneben stellen der Klimawandel und steigende Kosten für die herkömmlichen Energieträger eine Herausforderung für die Konsumenten dar. Warum sage ich das an dieser Stelle? Weil sich für die regionale Wirtschaft, insbesondere auch unser Handwerk, im Bereich der Energieerzeugung, Energieeinsparung und Steigerung der Energieeffizienz Möglichkeiten zur Diversifizierung ihrer Tätigkeiten ergeben. Energiemotivierte Investitionen stehen an. Mitte September 2008 wurde in MV gemeinsam mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt das Programm "Haus sanieren - profitieren" gestartet. Spezifische Fördermöglichkeiten des Bundes und des Landes MV unterstützen Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeinsparung und Energieeffizienz in Privathaushalten, Unternehmen und Kommunen, Vereinen. Das Handwerk profitiert konkret.

Nicht zuletzt unterstützen wir die Forderung der Handwerker zur Erhöhung der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerksleistungen, auch als einen konkreten Beitrag zur Bekämpfung der Schwarzarbeit.




Wie können potenzielle Investoren verstärkt überzeugt werden, den Standort Mecklenburg-Vorpommern zu wählen?

Eines muss klar sein: Alle Bürger tragen Verantwortung für ein investitionsfreudiges Klima im Land, durch Gastfreundschaft, Flexibilität, gute Schulbildung, kluge Politik. Neuansiedlungen und Unternehmenserweiterungen sind das Salz in der Suppe wirtschaftlichen Wachstums.

Die Politik muss die Rahmenbedingungen für ein investitionsfreudiges Klima schaffen. Nur ein Baustein dessen ist eine bedarfsgerechte und ordnungspolitisch kluge Förderkulisse. So haben wir das Förderinstrumentarium einerseits verschlangt und andererseits flexibilisiert. Gleichzeitig sorgen für dafür, dass Wissenschaft und Wirtschaft enger zusammenarbeiten. Die Potentiale der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen müssen mehr als bislang zur Habenseite unserer regionalen Unternehmen werden. So wird es besser gelingen, die Innovationskraft und die eigenen Forschungs- und Entwicklungspotentiale der Unternehmen zu stärken, mehr marktfähige Produkte zu entwickeln und in den Wirtschaftskreislauf zu bringen. Wertschöpfung wächst, Fertigungstiefen werden stärker und Wertschöpfungsketten werden länger.

Darüber hinaus setzen wir die Standort- und Ansiedlungsoffensive des Landes MV weiter fort. Insbesondere Investoren werden direkt und zielgerichtet angesprochen, um im international umkämpften Standortwettbewerb die Vorzüge des Standortes MV zu erkennen. Branchen-Summits, Weiterentwicklung unserer Wirtschaftsförderungs-gesellschaft "Invest in MV", engere Zusammenarbeit mit den regionalen Wirtschaftsfördereinrichtungen, stärkere  Präsenz auf nationalen und internationalen Messen, Investorenseminare mit Direktansprache von ansiedlungsinteressierten Unternehmen vor Ort, nachhaltige Energieversorgungssysteme sind nur einige Stichpunkte zielgerichteter Arbeit im Wettbewerb um Unternehmen und Unternehmer.

Doch noch einmal. Nicht die Politik allein ist Motor guten Tuns, sondern auch Sie die vielen Handwerkerinnen und Handwerker, die sich täglich dem Wettbewerb stellen. Dafür von Herzen Dank.